Es ist eine Frage, die immer wieder von freiberuflichen Journalisten im Raum steht und die immer wieder für Unsicherheiten sorgt. Das Thema wird tatsächlich gerne unterschätzt, sagt Rechtsanwalt Michael Felser.
Wird die Scheinselbstständigkeit unterschätzt?
Michael Felser (Rechtsanwalt, er berät seit 1995 Mandanten im Arbeitsrecht, bei Scheinselbständigkeit und im Vertragsrecht): Die Scheinselbstständigkeit wird unterschätzt.
Alleine deswegen, weil inzwischen schärfer geprüft wird. Die Betroffenen sind alle keine Juristen. Sie wissen nicht, was ändert sich? Sie wissen nur: Wir haben in den letzten Jahren so viele beanstandungsfreie Betriebsprüfungen gehabt: „Et hätt noch emmer joot jejange.“(„Es ist bisher noch immer gut gegangen.“).
Wenn der Prüfer auf einmal sagt: Die Selbstständigen sind scheinselbständig. Dann fallen die Geschäftsführer aus allen Wolken. „Die Mitarbeiter haben wir schon seit 40 Jahren in dieser Form beschäftigt.“ Und dann kontert der Prüfer: „Dann können Sie von Glück reden, dass ich nur die letzten vier Jahre prüfe.“
Denn anders als beim Finanzamt ist die letzte Prüfung nicht verbindlich. Das Bundessozialgericht sagt: Der nächste Prüfer kann in den Zeitraum der letzten Prüfung reinprüfen. Deshalb ist das für viele Unternehmen ein Schock. Viele denken, das muss der Steuerberater prüfen und warnen. Nein, der hat mit Sozialversicherungen nichts zu tun. Viele verlassen sich auf den Steuerberater.
Sie sagen, es wird schärfer geprüft. Wer prüft denn die Scheinselbstständigkeit?
Felser: Die Deutsche Rentenversicherung prüft alle vier Jahre Arbeitgeber. Sie schauen sich in der Buchhaltung aber auch die Rechnungen der Selbstständigen und die Verträge an. Liegen die Ausgaben hierfür über dem Branchenschnitt, muss der Betriebsprüfer dem nachgehen.
Neben den Rechnungsbeträgen schaut der Prüfer auf festgelegte Arbeitszeiten und Arbeitsorte, Bezahlung nach Stundensatz oder Tagessatz sowie fehlende Betriebsmittel des Selbständigen. Sind das keine Selbstständigen, dann rechnet er aus, was hätte der Auftraggeber an Sozialleistungen zahlen müssen.
Sie sagen, die Deutsche Rentenversicherung prüft auf zu hohe Summen und etwa Tagessätze. Was sind denn Kriterien die eine Scheinselbstständigkeit zeigen?
Felser: Es gibt nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung ein paar Merkmale für eine Scheinselbstständigkeit. Ist etwa der freie Mitarbeiter uneingeschränkt verpflichtet, allen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten oder bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten oder dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen. Aber die Deutsche Rentenversicherung schaut auch darauf, ob der Selbstständige in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten arbeiten muss, oder bestimmte Hard- und Software benutzen muss, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind.
Was genau heißt Weisungen folge zu leisten?
Felser: Eine Tätigkeit nach Weisung ist es etwa, wenn in den Verträgen drinsteht, die Arbeit richtet sich nach dem Dienstplan, der vom Auftraggeber einmal im Monat festgelegt wird. Hier weist der Auftraggeber die Zeiten zu, an denen der Auftragnehmer und in dem Fall der Journalist die Tätigkeit erledigen soll. Aber die DRV unterstellt auch gerne Weisungsgebundenheit, wo lediglich vertragliche Vereinbarungen umgesetzt werden. Jeder Dienstleister muss Termine beachten und seine Leistung oft an einem bestimmten Ort erbringen, wo es Sinn macht.
Sind denn E-Mail-Adresse der Firma und ein eigener Arbeitsplatz ein Problem?
Felser: Viele Sozialgerichte oder die Deutsche Rentenversicherung meinen, wenn einer die E-Mail-Adresse hat oder einen Schreibtisch hat, dass das eine betriebliche Eingliederung ist.
Das Bundesarbeitsgericht sagt: Es spielt keine Rolle, ob man eine E-Mail-Adresse oder einen Arbeitsplatz hat. Entscheidend ist, ob man den Arbeitsplatz nutzen muss oder darf. Ich habe Fälle, wo die Selbstständigen darauf bestehen, dass sie das Hotel und einen Arbeitsplatz gestellt bekommen. Das ist natürlich das Gegenteil von einer Weisung des Unternehmens.
Es gibt auch Unternehmen, die sagen, der freie Mitarbeiter sollte keinen Schlüssel bekommen, weil er sonst scheinselbstständig ist. Wie sieht es da aus?
Felser: Das Lustige ist: Ich kann Ihnen Urteile geben, wo drin steht: Weil der Mitarbeiter keinen Schlüssel hatte, war er an die Öffnungszeiten gebunden und konnte nicht selbstständig entscheiden, wann er seine Arbeit macht.
Das ist auch genau das Gegenteil von dem, was man da annimmt. Das ist Kokolores mit dem Schlüssel. Das sind Randindizien, die man nach Willkür und Belieben einsetzen kann. Ob jemand einen Schlüssel hat oder nicht, ist eine Sache des Vertrauens, aber nicht des Rechtsstatus.
Wenn ich von einem Mandanten den Schlüssel bekomme, weil ich der Hausanwalt bin und der sagt, ich möchte, dass Du einen Zugriff hast. Dann bin ich als Anwalt ja auch nicht scheinselbstständig. Das gibt mir ein Recht und bedeutet keine Pflicht. Das macht mich im Gegenteil flexibler, was die Leistungszeit angeht.
Das heißt, es geht weder um E-Mail-Adressen, Schlüssel oder Arbeitsplatz, sondern darum, dass der Journalist sein eigener Herr ist?
Felser: Genau. Die Aushändigung des Schlüssels kann auch bedeuten: Wenn der freie Mitarbeiter in den Räumen des Betriebs tätig werden muss, dann bekommt er über den Schüssel die eigenen Hoheit über die Zeit.
Als DAS Hauptindiz wird oft gesagt, wenn der Selbstständige nicht genug andere Auftraggeber hat, dann ist er scheinselbstständig. Stimmt das?
Felser: Die Zahl der Auftraggeber spielt überhaupt keine Rolle. Denn der Prüfer der Deutschen Rentenversicherung prüft ja nur das eine Unternehmen. Und den interessiert nicht, ob der freie Mitarbeiter noch bei anderen arbeitet. Sie prüfen das konkrete Auftragsverhältnis bei diesem einen Auftraggeber. Umgekehrt meint die Rentenversicherung aber oft, dass eine Beauftragung durch nur einen Auftraggeber ein Indiz für eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ist. Auch das ist falsch.
Unternehmen haben häufig die „Angst“, dass sich die Freiberufler einklagen wollen. Ist die Befürchtung berechtigt?
Felser: Ich kann nur sagen: Ich habe kaum Mandanten, die selbstständig sind und das nicht sein wollen. Das war für mich auch eine Überraschung. Viele sind bewusst selbstständig, weil sie selber entscheiden wollen, wie sie ihre Zeit nutzen und die nicht um Homeoffice betteln wollen, die selber entscheiden wollen, wann und wo sie wie viel verdienen wollen. Oft sind private Gründe das Motiv, z.B. Pflege von Angehörigen, man will eben keine Abhängigkeit und Fremdbestimmung.
Indem die Verlage sie als freie Mitarbeiter beschäftigen, sparen sie Buchhaltungsaufwand und eine Menge Geld. Darüber hinaus umgehen die Verlage den Arbeitnehmerschutz: Urlaubs- und Krankengeld sind nicht vertraglich geregelt, Kündigungsfristen oft ebenso wenig. Darüber sind die Verleger gut informiert, da es dem eigenen Nutzen entspricht. Aber ist den Unternehmen auch klar, wie sie rechtlich mit den Mitarbeitern umgehen sollen?
Felser: Ich glaube, dass in vielen Bereichen das Bewusstsein darüber fehlt, wie ein Unternehmen mit freien Mitarbeitern umgehen muss. Die großen Verleger kennen die Problematik schon. Die Frage ist aber, ob die Chefs im Verlag das alle wissen. Ein freier Mitarbeiter genießt mehr Freiheiten, weil der Chef nicht sagen kann, wann und wo und wie. Wenn in Verlagen freie Mitarbeiter in Schichtsysteme gepresst werden, die freien Mitarbeiter mit dem Festen ausgetauscht werden und da wird kein Unterschied gemacht, dann versteht da jemand nicht, was ein freier Mitarbeiter ist.
Anders ist das nur, wenn auch die festen Mitarbeiter wie Selbstständige behandelt werden. Man muss sich anschauen, wie werden selbstständige Journalisten tätig und wie werden angestellte Journalisten tätig? Da muss man ein klares Bild von haben und die Unterschiede auch im hektischen Arbeitsalltag beachten.
Das bedeutet in erster Linie geht die Prüfung erst einmal über den Kopf des Journalisten hinweg?
Felser: Genau. Auch der Bescheid richtet sich an den Auftraggeber – also in dem Fall an den Verlag oder das Medienhaus. Das ist auch etwas, das ich oft beanstande, dass der Auftragnehmer – also der Journalist – an der Betriebsprüfung gar nicht beteiligt wird. Bei dem Betroffenen ändert sich schließlich auch viel: Er fliegt etwa aus der KSK raus und kann keinen Widerspruch einlegen. Da sorge ich als Anwalt dann dafür, dass sie auch beteiligt werden.
Was passiert dann steuerlich?
Felser: Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht kommen oft in identischen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Steuerrechtlich würde ich meinem Mandanten grundsätzlich sagen, da ändert sich nichts. Es sei denn ein Finanzamt oder Finanzgericht stellt in einer eigenen Prüfung – unabhängig von der Deutschen Rentenversicherung fest, der ist auch steuerrechtlich nicht mehr selbstständig.
Die Finanzgerichte sagen auch: Uns interessiert nicht, was das Sozialgericht sagt. Und umgekehrt. Wenn er laut Sozialgericht scheinselbstständig ist, dann heißt das nicht zwangsläufig, dass derjenige steuerrechtlich scheinselbstständig ist.
Wie ist Ihre Einschätzung? Gibt es mehr oder weniger Fälle der Scheinselbstständigkeiten?
Felser: Ich kann nur die Scheinselbstständigkeiten vor Gericht beurteilen. Man kann sagen, dass es mehr geworden ist. Früher haben die Krankenkassen die Betriebsprüfung gemacht und die waren großzügiger. Die Deutsche Rentenversicherung ist deutlich rigider geworden. Sie prüft viel regelmäßiger und strenger.
Woran sehen Sie die Veränderung?
Felser: Man kann es an der Zahl der Entscheidungen, die in Datenbanken veröffentlicht werden, sehen, dass die Fälle vor Gericht zunehmen. Wobei es im Bereich des Journalismus etwas ruhiger geworden ist. So scheint es jedenfalls nach den Berichten in den Medien.
Es gab eine große Welle vor drei Jahren, da hat ein Whistleblower Ermittlungen bei DuMont ins Rollen gebracht. Er legte der Deutschen Rentenversicherung eine Liste mit Namen von Personen vor, von denen er überzeugt war, dass sie als scheinselbstständige Pauschalisten für die verschiedenen Titel des Medienhauses tätig waren. Die Deutsche Rentenversicherung übergab die Liste dem Zoll, der als zuständige Behörde die Ermittlungen aufnahm. In der Zeit hat sich auch der Springer Verlag wegen der mutmaßlich unlauteren Beschäftigungsverhältnisse als erstes und bislang einziges Verlagshaus selbst angezeigt. Ich hatte selber viele Mandanten aus München. In der jüngsten Zeit habe ich nicht mehr so viel aus diesem Bereich gehört.
Wenn die Fälle vor Gericht gehen. Was sind in der Rechtsprechung Ihre Erfahrungen?
Felser: Der Teufel liegt im Detail. Wichtig sind hier die Kriterien, ob jemand weisungsgebunden ist, und betrieblich eingebunden ist. Wie genau das dann am Ende zu beurteilen ist, wird auch von den Gerichten leider auch sehr unterschiedlich beurteilt. Das Landessozialgericht Berlin urteilt zum Beispiel oft anders als das in München.
Was sind Hauptindizien, auf die Journalisten achten sollten?
Felser: Normalerweise ist ein Journalist in der Künstlersozialkasse (KSK). Wenn etwa die Künstlersozialkasse Sie geprüft hat und aufgenommen hat, dann sind Sie „geprüft selbstständig“.
Die KSK und die Deutsche Rentenversicherung kämpfen um Beitragszahler und sind natürliche Konkurrenten. Die KSK will viele Künstler haben, damit sie größer wird. Die Deutsche Rentenversicherung möchte nicht so viele selbstständige Künstler sehen, damit sie mehr Beitragszahler haben. Deswegen kommt es bei Betriebsprüfungen vor, dass die Deutsche Rentenversicherung sagt: „Der Herr Müller ist kein Selbstständiger, auch wenn die KSK das meint.“ Dann kann die DRV das für die Zukunft durch einen Bescheid anders festlegen, aber nicht mehr für die Vergangenheit. Das heißt, der Auftraggeber ist für die Vergangenheit dadurch geschützt, dass der Journalist in der KSK drin ist. Das gilt jedenfalls bei unveränderter Tätigkeit. Umstritten sind aber Fälle, in denen die Tätigkeit gewechselt wurde.
Was ist, wenn der Journalist nicht in der KSK drin ist, es verpasst hat, oder nicht reingekommen ist?
Felser: Ich hatte zuletzt einen Fall. Da war ein Journalist nicht in der KSK. Der sagte: „Ich glaube ich bin scheinselbstständig.“ Er war für einen großen Verlag tätig. Dann habe ich den Fall mit ihm untersucht. Aber meistens sage ich: „Ich kann nicht sagen, ob Sie scheinselbstständig sind. Das kann man nicht sicher sagen, weil eine Vielzahl von Einzelkriterien das entscheidet. Die Gerichte urteilen sehr unterschiedlich. Da Sie nur für diesen Verlag gearbeitet haben und keinen Arbeitnehmer hatten, kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen, dass sie ein arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger sind.“ Dann müssten Sie selber Rentenversicherungsbeiträge nachzahlen. Rückwirkend für vier Jahre können das schon mal 35.000 Euro werden. Das ist dann das Risiko, wenn man wider Erwarten doch als selbständig angesehen wird.
Ein arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger, was ist das?
Felser: Es handelt sich dabei um Selbständige mit nur einem Auftraggeber und ohne sozialversicherungspflichtigem Arbeitnehmer.
Selbständige aber auch deren Steuerberater glauben oft, dass es nur das Problem der Scheinselbständigkeit gibt. Dass es auch „arbeitnehmerähnliche Selbständige“ gibt, ist häufig nicht bekannt und auch nicht die Folgen daraus.
Wird ein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet, prüft die Deutsche Rentenversicherung bei Feststellung einer selbständigen Tätigkeit auch in einem weiteren Schritt, ob der Selbständige nicht als rentenversicherungspflichtiger Selbständiger anzusehen ist.
Wann ist er als rentenversicherungspflichtiger Selbstständiger anzusehen?
Felser: Das Merkmal „im wesentlichen nur für einen Auftraggeber“ sieht die Rechtsprechung dann als erfüllt an, wenn im Kalenderjahr mehr als 5/6 des Umsatzes mit einem Auftraggeber gemacht wurden. Der Selbstständige muss – falls er keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt hat – selber Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Dann ist er nicht scheinselbstständig, sondern selber verpflichtet in die Rente einzuzahlen. Das wird oft verwechselt.
Was ist Ihr Rat, wie kann sich der Journalist schützen?
Felser: Durch die Künstlersozialkasse. Wie eben gesagt, prüft sie die Freiberuflichkeit. Damit ist ein gewisser Schutz gewährleistet und kann rückwirkend nicht mehr angeprangert werden. Und auch bei Unternehmen sage ich: Ich würde als Auftraggeber nie einen Journalisten engagieren, der nicht in der KSK ist.
Das Interview führte Melanie Trimborn.